Wie Branchenexperten die ERP-Zukunft sehen …
Cloud Computing ist auf dem Siegeszug, keine Frage. Aber nach wie vor zögert ein großer Teil des deutschen Mittelstandes bei der Migration ihrer Kern-IT und setzen weiter auf Server vor Ort. So stellt sich die Frage: Was ist schneller, sicherer und günstiger? Das haben wir ERP-Experten von Forterro, Oracle, Proalpha, Sage, SAP und Scopevisio gefragt.
Auch 2025 stehen jede Menge Unternehmen vor der Entscheidung, ihre Kern-IT in die Cloud zu migrieren – oder auf den Altsystemen in hauseigenen Rechenzentren weiterzuarbeiten. Den Versprechungen der Cloud-Provider zum Trotz beharrt eine Vielzahl von IT-Verantwortlichen nicht zuletzt in Deutschland auf ein Enterprise-Ressource-Planning-System im eigenen Haus. Sie halten das für sicherer, kostengünstiger und auch schneller als alles, was sie von großen oder auch kleinen Cloud-Anbietern erhalten können.
Stellt sich also die Frage: Wer offeriert schnelleres, sichereres und günstigeres Computing? Die Cloud oder der lokale Betrieb on-premises? Welche Argumente sprechen für die Haltung im eigenen Rechenzentrum, welche für die Nutzung eines Providers? Das wollten wir von den maßgeblichen Verantwortlichen der ERP-Spezialisten von Forterro, Oracle, Proalpha, Sage, SAP und Scopevisio in Erfahrung bringen.
Wie steht es um die Sicherheit?
Für Alexander Kintzi, CRO der Scopevisio AG, ist die Lage in Sachen Sicherheit klar: Die Einhaltung von Vorgaben zu Compliance und Datenschutz könne insbesondere von professionellen Cloud-Lösungen erbracht werden, weil kontinuierlich Investitionen in die Absicherung und Zertifizierung der dahinterstehenden Rechenzentren eine zuverlässige Einhaltung aller relevanten Standards, insbesondere der DSGVO, gewährleisteten.
Thomas Knorr, Director Cloud Transformation bei Forterro, springt dem Kollegen zur Seite. Die Einhaltung von Compliance- und Datenschutzanforderungen sei in der Cloud tendenziell einfacher als bei On-Prem-Lösungen, viele frühere Bedenken hinsichtlich Sicherheit und Kontrolle in Cloud-Umgebungen seien mittlerweile obsolet. Insbesondere Single-Tenant-Architekturen sorgten für hohe Verfügbarkeit, Stabilität, Flexibilität und umfassende Sicherheitsstandards. Hinzu komme, dass das Lifecycle-Management inklusive Monitoring, Upgrades und Sicherheitspatches mittlerweile häufig vom Anbieter geschultert werde.
Gerade für mittelständische Unternehmen sei dies, so Kintzi und Knorr unisono, eine große Hilfe, weil sie ansonsten mit der Wartung ihrer On-Premise-Lösungen beschäftigt seien. Diese bänden erhebliche interne Ressourcen, setzten umfangreiches Fachwissen voraus und mache ständige Aktualisierung der Systeme per Hand nötig.
Auch Erik Kendel, ERP Strategy Director Oracle Deutschland, bricht eine Lanze für die Cloud – sie mache die Einhaltung von Compliance- und Datenschutzvorgaben leichter, sofern ein Unternehmen keine sehr strengen oder spezifischen regulatorischen Anforderungen erfüllen müsse. Die Cloud sei flexibler und einfacher zu skalieren, da Anbieter viele Compliance-Themen automatisiert umsetzten. On-Premises dagegen offeriere zugegebenermaßen mehr Kontrolle, mache aber viel Arbeit und setze jede Menge Fachwissen voraus.
Das will Timo Deiner, bis vor kurzem Director, Cloud Transformation and Architecture, bei SAP und seit diesem Monat als Head of Innovation & Technology, MEE Region, für die Walldorfer tätig, so nicht stehen lassen. Die Kontrolle über Daten und Anwendungen im eigenen Haus hätten viele Anwender nur vermeintlich – der Betrieb in Eigenverantwortung mache umfangreiche Arbeitsschritte nötig, was wiederum Ressourcen in der IT binde, die Kosten erhöhe und gleichzeitig die Flexibilität abbaue und die Innovationskraft verringere. Die Einhaltung von rechtlichen Vorgaben OnPrem erscheine daher nur auf den ersten Blick leichter. Cloud Anbieter böten von Haus aus umfassende Zertifizierungen wie z.B. ISO 27001 an. Für ihn ist damit klar: Eine standardisierter Cloud-Infrastruktur erhöht Sicherheit und Compliance gleichermaßen.
Alexander Trautmann, Head of Product Engineering bei Sage, unterschreibt die Aussagen seines Kollegen weitestgehend, gibt zusätzlich aber zu bedenken, dass neue Cloud-Technologien in der Regel flexibler als On-Prem-Technologien seien. Somit könnten sie auch schneller auf neue Gefahren oder Vorgaben reagieren. Das sei eine große Hilfe gerade für kleine und mittlere Unternehmen, denen es häufig an IT-Security-Spezialisten mangle.
Da will Alexander Krauter, Product Strategy Manager Cloud bei ProAlpha, den allgemeinen Konsens nicht zerstören und bestätigt, dass die Cloud permanent neue Technologien einbringe – etwa aus dem Bereich der Artificial Intelligence (AI) -, die Mittelständler wohl kaum in Eigenregie in ihr Rechenzentrum integrieren könnten. Da seien nicht nur der Fachkräftemangel, sondern auch limitierte Entwicklungsbudgets große Hemmschuhe. Für Krauter kann eine Cybersecurity-Strategie am schnellsten, kostengünstigsten und sichersten in Zusammenarbeit mit Hyperscalern umgesetzt werden. Der Mittelstand müsse entsprechend pragmatisch abwägen, wann und wie sich der Rückgriff auf Cloud-Dienste anbiete.
Geschwindigkeit ist wichtig, oder?
Lokale Speichersysteme offerieren in der Regel schnellere Zugriffszeiten als die Cloud, insbesondere bei der Verarbeitung von Big Data. Um da mithalten zu können, müssten Unternehmen, die Daten in der Public Cloud lagern oder verarbeiten, eine Reihe von Kriterien beachten, damit sie mit der Reaktionsgeschwindigkeit von hausinternen Anwendungen mithalten können, so Krauter. Er nennt verschiedene Technologien, um die Latenz im Cloud-Speicher zu minimieren, darunter Content Delivery Networks (CDN), ein geografisch verteiltes Server-Netzwerk. Eine weitere Möglichkeit sei das Edge Computing, bei dem die Datenverarbeitung am Rande des Netzwerks erfolgt, was die Zeit verkürze, die Daten für die Hin- und Rückübertragung zwischen Anwender und dem Cloud-Speicheranbieter benötigen.
Das Rechnen am Edge begeistert auch Andy Schäfer und Timo Deiner von der SAP: Das schiebe die Rechenleistung nah an die Quelle heran und verkürze so die Latenzzeit. Speziell in der Fertigung führe dies dazu, dass Produktionsaufträge, Planung und Materialbeschaffung im Cloud-ERP koordiniert würden, während die Edge-Server auf der Produktionsstraße die Sensordaten der Maschinen einfingen. So könnten auch kritische Steuerungsprozesse in Echtzeit ausgeführt werden, ganz ohne auf die Cloud angewiesen zu sein.
Auch Trautmann von Sage bestätigt, dass sich die Cloud insbesondere für eher nicht zeit- bzw. latenzkritischen Workloads eigne. Er sieht in Big Data jedoch „nicht per se“ eine Hürde für die Cloud-Migration. Für Anwender, bei denen Geschwindigkeit eine große Rolle spiele, böten sich hybride Cloud-Modelle an, oder eine speziell auf die jeweiligen Anforderungen hin ausgerichtete Cloud-Architektur. Das bestätigt Knorr von Forterro: Der hybride Ansatz vereine die Stärken beider Welten – zeitkritische Prozesse und die Verarbeitung großer Datenmengen blieben lokal, weniger zeitkritische Anwendungen und Daten liefen besser in die Cloud.
Auch Erik Kendel von Oracle billigt zu, dass Cloud-Lösungen gegenüber lokalen Systemen im Hinblick auf die Geschwindigkeit möglicherweise etwas im Hintertreffen seien, dies werde jedoch durch ein Plus an Kosteneffizienz, Innovation und Sicherheit mehr als wett gemacht. Auch er rät zu Hybrid- und Edge-Computing, um Anwendungen schneller zu machen.
Diese beiden Verfahren haben es auch Kintzi von Scopevisio AG angetan. Sie machten der Cloud Beine, so dass mittelständische Anwender hinsichtlich Skalierbarkeit und Flexibilität keine Nachteile befürchten müssten. Unternehmen sollten trotz Geschwindigkeitsvorteilen für On-Prem-Installationen die Vorteile der Cloud – wie Aktualität, Sicherheit und Anpassungsfähigkeit – nicht außer Acht lassen.
Die Entscheidung fällt mit Blick auf die Kosten
In der Regel entscheidet letztlich das vorhandene Budget über den Einsatz einer Lösung aus der Cloud oder aus dem heimischen Rechenzentrum. Und hier punktet im Prinzip die Cloud, entsprechende Lösungen böten Mittelständlern großes Potenzial zur Kostenoptimierung und -kontrolle, so Thomas Knorr. Auch für den ERP Strategy Director Oracle Deutschland steht außer Frage, dass Cloud-Lösungen Investitionskosten reduzieren, schließlich fielen keine Vorabkosten für Hardware und Infrastruktur an. Das bestätigt vollumfänglich Alexander Kintzi von der Scopevisio AG. Auch greife in der Cloud oft ein nutzungsbasiertes Preismodell, sie garantiere zudem hohe Flexibilität und Skalierbarkeit, weil Anwender nur für die tatsächlich genutzten Ressourcen bezahlen müssten. Im Zweifelsfall müsse ein genauer Blick auf die IT- und Business-Strategie des Unternehmens geworfen werden, bevor man sich für das eine oder das andere entscheide.
Auch Krauter von Proalpha rät dazu, genau hinzuschauen. Er macht nämlich eine Bewegung zurück aus der Cloud aus – jüngste Untersuchungen von IDC bestätigten dies. Demnach sähen sich viele Cloud-Enthusiasten der ersten Stunde mit horrenden Rechnungen der Provider konfrontiert, was der Begeisterung einen herben Dämpfer versetze. Krauter sieht entsprechend einen klaren Trend, Workloads aus Kostengründen aus der Cloud zurückzuholen. Er rät insgesamt zu einem hybriden Ansatz, bei dem Workloads für die jeweils passende Betriebsart – also Public-, Private- oder On-Premises-Umgebungen – entsprechend den jeweiligen Anforderungen genutzt werden.
Diese will auch Andy Schäfer von der SAP genau analysiert sehen. Nur die spezifischen Anforderungen entschieden letztlich über die tatsächlichen Einsparpotenziale. Diese seien durchaus möglich, da Cloud-Anbieter Skaleneffekte und Pay-as-you-go Modelle böten. Deiner fügt an, dass Unternehmen auch die indirekten Vorteile berücksichtigen sollten, dazu zählt er etwa die Reduzierung der IT-Wartungskosten und die Verbesserung der Sicherheit und Compliance.
Alexander Trautmann von Sage rät grundsätzlich zur Cloud, warnt in diesem Zusammenhang aber auch vor einer Kostenfalle: Die Betriebskosten oder die Datentransfergebühren würden mit zunehmender Nutzung oder Datenmenge stark steigen.
Hier gilt es definitiv, genauer hinzuschauen. Durch nutzungsbasierte Abrechnungsmodelle können in manchen Szenarien Kosten gespart werden. Außerdem existieren neue, flexible Skalierungsmöglichkeiten. Allerdings können die Betriebskosten (gerade bei 24/7) oder die Datentransfergebühren (Abruf der Daten aus der Cloud) bei zunehmender Nutzung oder Datenmenge zur Kostenfalle werden. Auch der Vendor Lock-in sollte bei den Überlegungen nicht vernachlässigt werden. Der flexible Wechsel von einem Cloud-Anbieter zu einem anderen ist in manchen Szenarien trotz rechtlicher Rahmenbedingungen eine Herausforderung.
Entweder oder – oder gleich hybrid
Halten wir fest: Ja, die Auslagerung in die Cloud kann signifikante Kosteneinsparungen ermöglichen, gerade die Flexibilität und die Skalierbarkeit der Cloud macht sie so attraktiv, wie Andy Schäfer von der SAP zusammenfasst. Für die bestmögliche Entscheidung zwischen On-Premises und Cloud ist jedoch weiterhin eine individuelle Analyse der spezifischen Anforderungen und Ziele eines Unternehmens unerlässlich. Dabei müssen alle Aspekte Berücksichtigung finden, um den vollen Kostenvorteil ausschöpfen zu können.
In so manchen Fällen mag ein Vorgehen Schritt-für-Schritt sehr viel ratsamer erscheinen, als der von vielen Anbietern, auch und gerade im Bereich ERP, „Cloud first“-Ansatz. Knorr von Forterro bringt es auf den Punkt: Ein hybrides Modell ist eine valide Option für einen schrittweisen Übergang in die Cloud, da es Unternehmen ermöglicht, Erfahrungen mit Cloud-Lösungen zu sammeln, bevor sie ihre Daten und Anwendungen vollständig migrieren.
Dieser Beitrag von Dr. Dietmar Müller erschien in Cloud Computing Insider am 27.03.2025. Dr. Dietmar Müller ist ein renommierter Journalist, Medienpsychologe und Content-Manager mit über 25 Jahren Erfahrung in der Medienbranche. Sein beruflicher Schwerpunkt liegt auf der Unternehmens-IT in all ihren Facetten, wobei er sich intensiv mit den neuesten Entwicklungen und Trends in diesem Bereich auseinandersetzt. Den gesamten Beitrag finden Sie HIER
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